Sedum villosum - die Sukkulente aus dem Sumpf

Shamrock schrieb:... Die Sukkulenz wird dort (im Moor) zwar nicht mehr gebraucht, aber sie ist halt noch da. Was man hat, gibt man ja ungern wieder her.

Das ist nun vielleicht doch etwas stark anthropomorphistisch gedacht. Die Pflanze hätte ja ohne die Sukkulenz nicht nichts - also nicht wie ein Handwerker, der ohne seine Werkzeuge im Schrank für den Notfall eben nichts hätte - sondern sie hätte zwangsläufig etwas anderes als ihre Sukkulenz. Und gewöhnlich passt das, was sie hat, nicht gut zu einem anderen Standort als dem, an dem sie wächst. Sukkulenz ist ja oft mit ziemlicher Nässeempfindlichkeit verbunden. Aber hier gerade nicht. Das ist das Merkwürdige. Aber jut...!

Weil er gerade so hübsch blüht: Sedum booleanum, mein erfreulich frostharter (allerdings dann deutlich nässeempfindlicher...) Mexikaner:
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Der ist hier zwar schon mal vorgestellt worden (S. 4), aber wohl unter verkehrtem Namen.

Manfrid

Schöner Mexikaner!

Ich kann´s halt nicht besser formulieren, aber Sedum ist ja hierzulande als recht konkurrenzschwach bekannt. Da ist die Sukkulenz halt sehr hilfreich auf Trockenstandorten mit beispielsweise wenig Erde, wo man bestens vor anderen flüchten kann - und die eine Art ist halt ins Moor geflüchtet um der Konkurrenz aus dem Weg zu gehen. Die Sukkulenz ihrer Gattungsgenoßen hat sie halt dorthin mitgenommen und macht jetzt in ihrer Nische das Beste daraus. Mal ganz simpel und salopp gesagt. Zumindest hoffe ich jetzt, dass klar wurde worauf ich hinaus wollte.

Das ist mir schon klar, worauf Du hinauswolltest. Ich habe nur Schwierigkeiten, mir eine Pflanze mit dem Willen zur Flucht vor der übermächtigen Konkurrenz vorzustellen, die dann erfolgreich in eine Nische flieht, die bereits von Pflanzen ohne den dort mutmaßlich hinderlichen Ballast spezieller Anpassungen an Trockenstandorte besetzt ist, und die dann versucht, "das Beste daraus" zu machen. Auf der einen Seite schreibt man der Pflanze bewundernswerte Fähigkeiten zu, das Beste aus ihren (Konkurrenz-)Schwächen zu machen, und auf der anderen Seite nimmt man die Schwächen als gegeben und selber nicht überwindbar an...  - Aber vielleicht ist ja eher das Problem, dass es mir nicht gelungen ist, klarzumachen, worauf ich hinauswollte. Mag auch daran liegen, dass ich noch keine griffige Erklärungsalternative anzubieten habe. Mich faszinieren zunächst mal immer einfach solche Sachen, die auf den ersten Blick als totale Polaritäten erscheinen - wie z. B. dauernasse und halbwüstige Standorte - und dann doch überraschende "Verwandtschaften" zeigen - z. B. durch die sie besiedelnden Pflanzen und Tiere. Das geht mir nicht nur im Hinblick auf die Crassulaceen so. Auf den schönen Standortfotos der lieben Kakteen sind auch andauernd Farne, Moose, Moosfarne als Begleiter mit drauf. Zwar spezielle, austrocknungsresistente, aber doch merkwürdig an Nassstandorte erinnernd. Mir geht es gewissermaßen um das bewusstere Erfassen des Gemeinsamen Nenners. Aber wie gesagt: Ich kann es da auch noch nicht einleuchtend vorleben. So wenig wie einstweilen z. B. auch bei den anderswo diskutierten Steinernen Rinnen und Sinterterrassen: Das eine Mal Wälle längs zur Fließrichtung des Wassers, das andere Mal quer, und doch gewiss irgendwie miteinander verwandt - nicht bloß durch die abstrakte Subsummierung unter "Kalkfällungsphänomene" oder dgl....

Manfrid

Sehr hübsches Teil! Weißt du auch die Art?

Für uns Beide hab ich eh netten Nachschub organisiert... Sedum villosum, Teil 2. Wer weiß, wieviele der 9 Fundorte in Deutschland noch existent sind? Eine der seltensten Pflanzen Deutschlands, kurz vor dem Aussterben, wächst auf dauerfeuchten Stellen und ist sukkulent. Kurios genug! Aber das hatten wir ja alles hier schonmal: https://www.kakteenforum.com/t11334p90-sedum#418323

Die Sumpf-Fetthenne, eigentlich ein Widerspruch in sich. Nach dem Erfolg im Fichtelgebirge ging´s diesmal ins Rote Moor in der Rhön. Über 800 Höhenmeter und ein Kälteinsel mit durchschnittlich 110 Schneetagen im Jahr. Das alles bei bestem Wetter - Wasser von allen Seiten!
Was für eine bescheuerte Idee kurz vor November im Moor bei Dauerregen auf Sukkulentenpirsch zu gehen... Impressionen vom Habitat:
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Ein kleines Paradoxon beim Naturschutz. Früher hat man solche Stellen gerne mal eingezäunt, um seltene Arten zu erhalten. Beim Sedum villosum hat man irgendwann gemerkt, dass das ein klassisches Eigentor ist. Das tickt da anders. Klassisch konkurrenzschwach wie Sedum nun mal so ist, benötigt es Störstellen, um dort der Konkurrenz aus dem Weg gehen zu können. Eingezäunt ist der Fundort nun trotzdem, aber auch nur, damit die Rindviecher dort nicht flüchten. Ohne deren Störstellen durch Huftritte könnte sich die Sumpf-Fetthenne nicht halten.
Und genau an solchen Stellen muss man dann suchen:
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Nur wussten wir jetzt bei dem Dauerregen auch nicht unbedingt, welche Stellen dauerfeucht sind oder nur wegen dem Regen geflutet waren. Aber zum Glück hatte ich eine tolle Suchunterstützung!
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So ging´s dann über die Wiese. Immer wieder frische Rinderfladen, aber offenbar hatten wir Glück und die Rindviecher sind kurz vorher von ihrer Weide gebracht worden (Herbst...). Hielt mich aber dennoch nicht davon ab, in steter Regelmäßigkeit immer wieder mal einen Kontrollblick schweifen zu lassen - man weiß ja nie bei so einer großen Weide...

So schlurchten wir dann suchend über die Wiese und waren binnen kürzester Zeit durchgeweicht. Wer sich mit Flechten auskennt und da Interesse hat, der wäre voll auf seine Kosten gekommen:
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Auch allerlei andere Sachen konnte man entdecken:
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Aber alles nicht sukkulent!
Schön hier dem Wasserlauf entlang:
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Und dann, ein Hoch auf Tine, nach rund 2 h Suche immerhin ein einziges, winziges Exemplar Sedum villosum!
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Sorry für die schlechten Fotos, aber bei dem Wetter hatte ich nicht die teure Kamera dabei und für gute Handyfotos war eindeutig viel zuwenig Licht. Aber egal, gefunden!
Wer kann von sich schon behaupten, mal Sedum villosum live gesehen zu haben? Und dann noch in freier Wildbahn - und jetzt sogar auch noch in zwei ganz verschiedenen Ecken. Einmal ganz im Osten Frankens und einmal knapp in Hessen, nach dem äußersten Westzipfel Frankens. Vielleicht sammel ich jetzt auch noch die restlichen paar Fundorte von Sedum villosum?
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Ein toller Bericht, vielen Dank dafür!
Ich hatte vorher von dieser Pflanze noch nie gehört. Da habe ich wieder was gelernt

Hallo Matthias
Was die genaue Bezeichnung für das Hylotelephium angeht; da bin ich überfragt.  Mal sehen ob mein Namensvetter was weiß ( Plantsman)

Aber nachdem du und Christine so fleißig nach dem Rhön Villosum  gesucht habt, wollte ich beim hiesigen Standort auch mal wieder vorbei schauen.
Ist ja quasi bei mir vor der Haustür, wie du weißt  Allerdings muss ich sagen, das ich noch nie so spät im Jahr dort war. Es ging mir wie euch. Ich fand so gut wie nichts.
Zieht Sedum villosum über den Winter fast komplett ein? Ich weiß es nicht. Im Sommer war noch alles voll.

Ein Bild von heute. ( Man beachte den Frosch im Sprung )
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Die selbe Stelle im Sommer
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Der Rest der heutigen Fotos vom Hangquellmoor
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Aber damit man beim Anschauen nicht den November Blues bekommt, hab ich  auch noch ein paar ältere Fotos raus gesucht.

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Die fleischfressende Pinguicula vulgaris
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Ende Mai 2024 gibt es dann aktuelle Fotos

Gruß Stefan

Schuhe wieder trocken?
Sedum villosum ist ja meist zweijährig, selten einjährig. Das heißt, wenn das im Juli blüht, dann muss erstmal der Samen reifen, ausfallen und keimen - dann gibt´s im Herbst nur Minipflänzchen. Insofern ist schon die aktuelle Jahreszeit inkl. Winter die denkbar undankbarste Zeit, um die Sumpf-Fetthenne zu suchen. Die alten Pflanzen, die geblüht haben, sind tot und weg und der Nachwuchs ist noch im Zwergenzustand.

Auf deinem einen Foto sieht man schön den Wasserlauf der Quelle den Hang runtergehen, das kann man im Sommer nicht so erkennen. Spannenderweise, falls es jemand interessieren sollte, ist Sedum villosum nur im oberen Quellbereich zu finden (genauso wie das fleischfressende Fettkraut). Weiter unten gibt´s dann mehr Nährstoffe und somit auch mehr Konkurrenz (soweit zumindest meine Theorie - denn der Samen kommt ja schon allein durch das Wasser unweigerlich auch in den unteren Hangbereich).

Gegen die Herbstdepression kann ich aber auch gerne ein sommerliches Blütenfoto aufwärmen:
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Susanne, ich danke dir! Ist doch immer nett, wenn man sieht, dass es auch ein paar Wenige gibt, die sich für unsere abgefahrenen, seltenen heimischen Sukkulenten erwärmen können. Danke!

Das mit der Zweijährigkeit erklärt natürlich alles.
Vielleicht sollte ich 2024 von März bis Oktober in zweiwöchigem Abstand dorthin fahren und die Entwicklung von Sedum villosum übers Jahr dokumentieren.
Der Gedanke gefällt mir.
Gruß Stefan
P.s. Die Schuhe sind immer noch nass

Wenn du so eine Doku startest (was ich total genial finden würde, interessiert mich schließlich selbst - nur wäre der Weg etwas weit...!), dann verspreche ich, dass ich alle Sedum villosum-Beiträge mühevoll aus dem Thread trenne und einen eigenen Sedum villosum-Thread anlege. Ehrenwort!
Die Art verändert bis zur Blüte ja schon ihren Habitus enorm und streckt sich erstmal ausgiebig. Auch das Absterben nach der Blüte und Samenreife wäre durchaus interessant zu sehen. Unter all der Literatur, die ich bis jetzt zu dieser Art finden und durchforsten konnte, war das nirgends dokumentiert. Wäre doch Motivation genug, dies zu tun. Soll ich gleich abtrennen und einen Sedum villosum-Thread anlegen?

Hey, für welche andere Sukkulente holt man sich schon bei Standortfotos garantiert nasse Füße?!

Abgemacht.
Dann starten wir ab März eine Sedum villosum Doku.
Und weil es gleich daneben wächst, werde ich das Fettkraut mit einbeziehen.
Gruß Stefan