Eigenheiten bei der Nomenklatur
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Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
plantsman schrieb:
Ich denke, das Linné als fortschrittlicher Wissenschaftler der ganzen Sache gegenüber eher aufgeschlossen gewesen wäre. Er hätte es wahrscheinlich ausdiskutieren wollen, aber eine gute und konstruktive Diskussion hat noch keiner Sache geschadet.
Als "Wanderer zwischen den Welten" (ich bin kein Botaniker, habe aber oft mit welchen zu tun) ist man erstaunt, wie unaufgeregt Botaniker mit der Taxonomie umgehen. Man kann mit ihnen gut und intensiv darüber diskutieren und, wenn die Argumente stimmen und überzeugen, sind sie willig bereit, ihre bisherige Meinung zu revidieren.
Mit Kakteen-Liebhabern, vor allem solchen, die sich für "Experten" halten, sind solche Diskussionen selten und manchmal leider auch unmöglich.
Eigentlich schade, denn gerade solche Diskussionen erweitern das Wissen ungemein.
Herzliche Grüße
Nobby
PS: an die falsche Verwendung der Begriffe "Nomenklatur" (Namensgebung) und "Taxonomie" (Einteilung) muss man sich genauso gewöhnen wie an den falschen Gebrauch von Standort (z. B. vollsonnig) und Fundort (z. B. südlich Farmington). Manche Sportler haben ja verrückterweise ihren Sieg auch noch nicht "realisiert" (in die Tat umgesetzt) nachdem sie durchs Ziel gelaufen sind???? Ich halte es da mit dem Sportler Mario B.: "Wir brauchen Spieler, die wo Deutsch sprechen können!"
nobby- Kakteenfreund
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Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Von wegen clumping, nicht alles was offiziell veröffentlicht wird und möglicherweise seine Richtigkeit hat, wird auch unbedingt (sofort) angenommen bzw. akzeptiert. Bruyns, den man ruhig als Koryphäe in diesem Bereich bezeichnen kann, hat letztens alle Stapeliinae und Brachystelma in die Gattung Ceropegia eingegliedert: Link
D.h. alle Stapelia, Huernia, Hoodia, Orbea, Caralluma etc. sind Ceropegia xyz.
Werden sich aber auch wohl die wenigsten daran halten
D.h. alle Stapelia, Huernia, Hoodia, Orbea, Caralluma etc. sind Ceropegia xyz.
Werden sich aber auch wohl die wenigsten daran halten
superzero- Kakteenfreund
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Lieblings-Gattungen : Stapeliinae
Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Keine Sorge, da gibt´s einige Gattungen, die scheuen die Botaniker wie der Teufel das Weihwasser (aus welchen Gründen auch immer).TobyasQ schrieb:Außerdem ist damit sicher schon jemand beschäftigt.
Gast- Gast
Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Moin,
welche Gattungen meinst Du?
Wenn man die "Asclep"-Gattungen so kennt, wie man sie bisher definiert hat, dann kann ich verstehen, warum man diese Großgattung mit so vielen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen nicht akzeptieren möchte oder kann. Wenn man sich dann aber andere Großgattungen aus anderen Pflanzenfamilien ansieht, dann ist deren Vielfalt teilweise noch viel größer. Da fällt mir z.B. Euphorbia ein, die kaum in Frage gestellt wird, man denke nur an den Weihnachtsstern und Euphorbia obesa (!), oder bei den Orchideen die Gattung Bulbophyllum. Wenn ich an diese beiden Gattungen denke, dann kann ich mit Ceropegia in der von Bruyns, Klak und Co. vorgeschlagenen Umschreibung gut leben.
Taxonomisch gesehen darf aber jeder, wie schon erwähnt, die gültig beschriebenen Namen für seine Pflanzen beibehalten. Gerne wiederhole ich auch, dass wir keine Etiketten sammeln und die Pflanzen auch einfach nur schön sein dürfen.
Bei mir ist es so, dass ich beide Seiten der Sammel-Leidenschaft sehr mag, sie aber gut trennen kann und nicht zu viel Ernsthaftigkeit aufkommen lassen möchte. Das verdirbt einem nämlich den Spaß.
Matthias/Shamrock schrieb:Keine Sorge, da gibt´s einige Gattungen, die scheuen die Botaniker wie der Teufel das Weihwasser (aus welchen Gründen auch immer).
welche Gattungen meinst Du?
"Clumping" ist auch nett .......superzero schrieb:Von wegen clumping, nicht alles was offiziell veröffentlicht wird und möglicherweise seine Richtigkeit hat, wird auch unbedingt (sofort) angenommen bzw. akzeptiert. Bruyns, den man ruhig als Koryphäe in diesem Bereich bezeichnen kann, hat letztens alle Stapeliinae und Brachystelma in die Gattung Ceropegia eingegliedert: Link
D.h. alle Stapelia, Huernia, Hoodia, Orbea, Caralluma etc. sind Ceropegia xyz.
Werden sich aber auch wohl die wenigsten daran halten Rolling Eyes
Wenn man die "Asclep"-Gattungen so kennt, wie man sie bisher definiert hat, dann kann ich verstehen, warum man diese Großgattung mit so vielen unterschiedlichen Merkmalsausprägungen nicht akzeptieren möchte oder kann. Wenn man sich dann aber andere Großgattungen aus anderen Pflanzenfamilien ansieht, dann ist deren Vielfalt teilweise noch viel größer. Da fällt mir z.B. Euphorbia ein, die kaum in Frage gestellt wird, man denke nur an den Weihnachtsstern und Euphorbia obesa (!), oder bei den Orchideen die Gattung Bulbophyllum. Wenn ich an diese beiden Gattungen denke, dann kann ich mit Ceropegia in der von Bruyns, Klak und Co. vorgeschlagenen Umschreibung gut leben.
Taxonomisch gesehen darf aber jeder, wie schon erwähnt, die gültig beschriebenen Namen für seine Pflanzen beibehalten. Gerne wiederhole ich auch, dass wir keine Etiketten sammeln und die Pflanzen auch einfach nur schön sein dürfen.
Bei mir ist es so, dass ich beide Seiten der Sammel-Leidenschaft sehr mag, sie aber gut trennen kann und nicht zu viel Ernsthaftigkeit aufkommen lassen möchte. Das verdirbt einem nämlich den Spaß.
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Tschüssing
Stefan
plantsman- Fachmoderator - Bilderlexikon andere Sukkulenten
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Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Dann greif ich einfach mal als Beispiel Corryocactus raus. Da hat man für den großen Anderson halbherzig rumgewerkelt und dann irgendwann die Lust verloren. Alles was über war und nicht ganz gepasst hat, wurde dann ein Corryocactus squarrosus.plantsman schrieb:welche Gattungen meinst Du?
Gast- Gast
Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Schön wär’s ja, wenn die Begriffe „Taxonomie“ und „Nomenklatur“ so scharf zu trennen wären, wie Stefan ‚plantsman’ sagt. Aber ausgegangen ist die ganze Diskussion ja schon von der Frage von Thomas (‚TobyasQ’), wie es sich mit dem Zusammenlegen von Gattungen verhält. Alle (taxonomischen) Umordnungen, die eine Gattung betreffen, schlagen sich bei den gegenwärtigen Gepflogenheiten nun mal in der Nomenklatur nieder. Und da entsteht grundsätzlich das von Manfred (‚Msenilis’) wohl gemeinte Problem des „Erkennens“ einer Pflanze anhand ihres Namens. Ständige Gattungsnamens-Änderungen führen einfach zu dem ganz praktischen Problem, dass man bald nicht mehr weiß, unter welchem Namen man – auch ältere – Informationen über irgendeine Pflanze oder ein Tier zu suchen hat (oft selbst dann, wenn die alten Gattungsbezeichnungen noch als Sektion, Untersektion etc. anerkannt bleiben).
Als Biologe freue ich mich natürlich ein Stück weit über das ausgesprochene Vertrauen in die Verantwortlichkeit, Selbstreflexion, Lern- und Kritikfähigkeit von Wissenschaftlern, die sich mit taxonomischen Fragen befassen. Trotzdem erlaube ich mir, gelegentlich etwas daran zu zweifeln, ob sich die Kollegen wirklich erstens der (gerade genannten) praktischen Auswirkungen ihres revolutionären Eifers, und zweitens der Fragwürdigkeit der theoretischen Grundlagen ihrer Neuerungen genügend bewusst sind.
Nehmen wir zur Erläuterung mal das erwähnte und recht schön markante Beispiel Cactaceae – Talinum (Stefan: Kakteen sind „nämlich offenbar ‚nur’ ein rapide evolutierter Seitenast der Gattung Talinum und somit Portulacaceae.“). Ich finde es wirklich immer sehr spannend, wenn feinere Untersuchungen einen auf nahe Beziehungen zwischen Pflanzen oder Tieren hinweisen, auf die man auf den ersten Blick nicht gekommen wäre.
(Ich sage bewusst allgemein „feinere Untersuchungen“, nicht „molekulargenetische“ o. ä., weil mit „genetisch“ schon immer eine Interpretation hineingemischt wird, die den neueren feinchemischen Untersuchungen von vornherein einen höheren Erkenntniswert unterstellt als anderen Untersuchungen. Zunächst geht es auch da erstmal einfach um „Merkmale“, die nicht wichtiger zu nehmen sind als irgendwelche anderen Merkmale auch. Um das noch solider zu begründen, müsste man allerdings ein wenig auf die neueren Diskussionen um die „Epigenetik“ eingehen, die zeigen, dass es mit den angeblich so entscheidenden „Genen“ eine rechte Crux ist. Und wenn feinere „molekulargenetische“ Untersuchungen irgendeinen näheren Zusammenhang oder Unterschied zwischen Lebewesen nahe legen, so muss das ja immer auch durch entsprechend feine „somatische“, z. B. morphologische, ökologische etc. Untersuchungen ebenfalls zu belegen bzw. zu bestätigen sein. Denn sonst gäbe es eben auch keinen Zusammenhang zwischen „Genen“ (Keimbahn) und „Soma“ und es wäre wiederum sinnlos, von genetischen Grundlagen der somatischen Phänomene zu reden.)
Also, gegen solche neuen Hinweise aus der Feinchemie habe ich gar nichts. Im Gegenteil: Wird man so auf die Talinum-Arten als Bindeglied zwischen der merkwürdig speziellen Wuchsform, Blütenform, Bedornung etc. der Kakteen und den „normalen“ (für uns gewohnteren) Formen hingewiesen, so ist das ungeheuer anregend und hilfreich, um sowohl die eine, wie auch die andere Seite und ihre gegenseitigen Metamorphosebeziehungen besser zu verstehen. Aber die Mitteilung solcher entdeckten Gemeinsamkeiten (zwischen Cactaceae und Talinum) genügt für diese Anregung vollkommen. Dazu müssen tatsächlich nicht alle Kakteen nun Talinum genannt werden. Es ist wirklich nicht nur der zu fürchtende Aufschrei der Kakteenfreunde-Lobby, der dagegen spricht und verhindern würde, dass die „objektiveren“ „Verwandtschafts“-Verhältnisse nun auch in der Nomenklatur ihren angemessenen Ausdruck fänden.
(Ich habe Stefans Hinweis schon verstanden, dass man „nicht zu viel Ernsthaftigkeit aufkommen lassen möchte. Das verdirbt einem nämlich den Spaß.“ So bin ich mir auch darüber im Klaren, dass es sicher nicht verbissen gemeint war, „dass wir es der Politik und dem Lobbyismus zu ‚verdanken’ haben, dass wir nicht hochsukkulente, bedornte Portulak sammeln“; bzw. eben Talinum. Trotzdem kann es nicht schaden, die ganze Sache mal etwas konsequent durchzudenken. Wenn das nicht passiert, wird einem mit der ganzen Umbenennerei eben der Spaß mit der Zeit doch zu arg.)
Nehmen wir mal an, die ganzen Kakteen würden von zwei (oder mehr) Talinum-Arten abstammen, die jeweils auch noch einen wenig oder nicht veränderten rezenten Nachkommen in der heutigen Gattung Talinum haben. Das würde bedeuten, dass die eine Gruppe von Kakteen als näher verwandt mit der zu ihr gehörigen rezenten Talinum-Art anzusehen wäre als mit den übrigen Kakteen, die eben von einer anderen Talinum-Art abstammen. Alle Übereinstimmungen zwischen den Kakteen beider Gruppen wären als Konvergenzen und somit als Übereinstimmungen anzusehen, die die „wahren“ Verhältnisse nur verschleiern. Da wird, meine ich, einigermaßen deutlich, dass uns mit recht guten Gründen die Übereinstimmungen aller Kakteen untereinander und ihre charakteristischen Unterschiede zu anderen Pflanzen (Talinum) bei der Zusammenstellung in „Verwandtschaften“ unter vielen Gesichtspunkten eigentlich viel mehr interessieren als die Abstammungsverhältnisse. Letztere sind ja auch immer nur aus den tatsächlichen Übereinstimmungen und Unterschieden erschlossen. Sie sind sozusagen nur ein handfester Stellvertreter für Artbeziehungen überhaupt; auch solche, die keine Abstammungsbeziehungen sind. Es hat also mindestens ebenso gute Gründe, die Gattung Talinum den Cactaceae als ganzen gegenüberzustellen und da nach gegenseitigen Beziehungen zu suchen, wie die eine Gruppe der Kakteen + zugehörigem Talinum dem Rest der Kakteen + zu ihm gehörigem anderen Talinum gegenüberzustellen. Denn es hat uns doch viel weniger zu interessieren, ob gewisse Kakteen von einem gewissen Talinum abstammen, als wie der Zusammenhang – z. B. morphologisch – zu denken ist. In Wirklichkeit reicht es eben gar nicht, zu wissen, dass irgendein Kaktus aus irgendeinem Talinum hervorgegangen ist. Wenn dabei völlig beliebige Abänderungen anzunehmen wären, dann verlöre die Abstammungsfrage alles Interesse. Dann steht eben jede Art eigentlich für sich, auch wenn sie angeblich noch so viele „Merkmale“ mit einer anderen teilt und sich erst vor kurzer Zeit abgespalten hat. (In Wirklichkeit gibt es nämlich „gemeinsame Merkmale“ ebenso nur dann, wenn man sie unter – gewöhnlich unbewussten – Gesichtspunkten so zusammenfasst, wie man auch Pflanzen unterschiedlicher Art in „Verwandtschaften“, z. B. Gattungen, zusammenfasst. Ohne solche abstrahierenden Gesichtspunkte gibt es auch auf der Merkmalsebene ja nirgends wirklich Gleiches. Auch die Gleichheit in Bezug auf irgend einen DNS-„Baustein“, ein Enzym oder dergleichen ist eine Abstraktion, denn man muss den Baustein ja erst, z. B. durch Chromatographie-Verfahren, aus dem speziellen Zusammenhang lösen, in dem er nun mal ist und durch den er sich von dem „gleichen“ Baustein bei einer anderen Pflanze unterscheidet.)
Wenn man die Sache so, also etwas erkenntnistheoretisch, philosophisch anpackt, erscheint das gewiss schnell manchem als gar zu spitzfindig. Aber die neueren Diskussionen machen dem, der sie etwas verfolgt, doch deutlich, dass man immer wieder an dem Punkt landet, wo einfach kein Weg drum herum führt. Neulich hörte ich einen taxonomisch gewiss ziemlich bewanderten Kollegen stoßseufzen, er hoffe bloß, dass sich irgendwann ein Weg fände, den Einfluss von „horizontalem Gentransfer“ auf die Merkmalsbildung bei Pflanzen irgendwie „herauszurechnen“. Denn sonst funktioniere ja die ganze schöne Kladistik überhaupt nicht mehr. Also: Früher hatte man das Problem, Konvergenzen von „wirklicher“ Übereinstimmung, Analogie von Homologie zu unterscheiden. Dann hat man geglaubt, dieses Problem mit Hilfe z. B. des Dollo’schen „Gesetzes“ oder durch Erklärung bestimmter Merkmale für wesentliche, „genetische“ aus der Welt schaffen zu können (ohne auch den Blick darauf zu riskieren, dass ja Konvergenzen im Bereich der Feinchemie, der „Molekulargenetik“, noch viel schwerer zu „enttarnen“ sind als im Bereich derjenigen Merkmale, mit denen man es wirklich im gerade interessierenden praktischen Zusammenhang zu tun hat). Heute steht man vor der Wahrscheinlichkeit, dass Übereinstimmungen, die man früher als bloße Konvergenzen ansah, nicht bloß durch wie auch immer zu denkende Spontanmutationen o. ä. entstanden und durch die gegebenen Umweltverhältnisse begünstigt, sondern eben aus Lebewesen mit ganz anderer Abstammung querübertragen worden sein könnten („horizontaler Gentransfer“ durch Viren o. ä.). Sie könnten dann zwar ebenfalls durch die übrigen Umweltverhältnisse begünstigt worden sein, wären also insofern umweltinduziert und konvergent, sind aber zugleich „genetisch“. Die Trennbarkeit von Konvergenz und Homologie ist also ein nur noch ärgeres Problem geworden durch neuere Untersuchungen…
Man kann also gefahrlos prophezeien, dass das erhoffte „Herausrechnen“ niemals sauber funktionieren wird. Es wird immer die Möglichkeit und Berechtigung geben, eine Pflanzenart unter bestimmten Gesichtspunkten als mit der einen Gruppe anderer Pflanzen näher „verwandt“ anzusehen, unter anderen Gesichtspunkten aber mit einer anderen Gruppe. Wenn das bei genauerer Betrachtung doch meist ziemlich autoritäre Umändern von Gattungen irgendwann einmal zur Ruhe kommt, so bestimmt nicht deshalb, weil endlich die wahren Verwandtschaftsverhältnisse gefunden sind, sonder einfach deshalb, weil man das Hickhack allmählich müde geworden ist, ohne wirklich unter allen Gesichtspunkten befriedigende Evidenzen gefunden zu haben. Solche Evidenzen zu finden ist aussichtslos, und sie sich am Ende um des lieben Friedens willen einzureden, würde die wahren Verhältnisse nur weiter verschleiern. Immer spielen die Gesichtspunkte, unter denen man gegenseitige Beziehungen untersucht, mit hinein. Deshalb wird es, wenn man noch größeren Schaden vermeiden will, höchste Zeit, zu erkennen, dass die in die Nomenklatur eingegangenen Zusammenfassungen (vor allem also die Gattungen) einfach historisch zu nehmen und im Interesse der Verständigung zu schützen sind. Sie stellen jeweils einen bestimmten Blick, einen bestimmten Gesichtspunkt bei der Suche nach inneren Beziehungen dar (oftmals denjenigen Linnés) und sind nicht falscher oder richtiger als andere Zusammenstellungen. Höchstens unzweckmäßiger für das Verfolgen neu in den Blick gerückter Beziehungen. Wenn also jemand interessante Übereinstimmungen zwischen zunächst wenig ähnlich erscheinenden Arten – z. B. eben Talinum und Kakteen – gefunden hat, so mag er das sagen und man wird ihm dankbar sein. Aber er würde den Dank wieder verspielen, wenn er nun deswegen alle in anderer Hinsicht notwendigen Unterscheidungen verwischen würde, indem er alles Talinum zu nennen befiehlt. Wenn jemand umgekehrt z. B. findet, dass sich manche Eigenheiten einer bisher Corryocactus squarrosus genannten Pflanze besser verstehen lassen, wenn man die bisher unter dieser einen Art zusammengefassten Formen jeweils mit anderen Arten der Gattung in nähere Beziehung bringt oder besser erstmal für sich betrachtet, so wird auch das interessant sein. Aber auch da ist ernsthaft zu überlegen, ob Umbenennungen wirklich nötig sind, oder ob es ein paar Zusatzinformationen auch tun. In den meisten Fällen wird das Letztere das Bessere sein.
Wir haben bisher gut damit leben können, dass Dutzende von Linné stammende Artbezeichnungen fragwürdig sind. Wir wissen, dass z. B. Scilla peruviana nicht aus Peru, sondern aus Spanien stammt und nur mit dem Schiff „Peru“ zu Linné gelangt ist, der sie deshalb eben „peruviana“ nannte. Das verwirrt uns nicht weiter. Wir finden es historisch interessant. So werden wir doch wohl auch damit leben können, neuere Erkenntnisse als Zusatzinformationen aufzunehmen, ohne dass noch weiter die Nomenklatur revolutioniert und die Verständigung damit empfindlich aufs Spiel gesetzt werden müsste.
Wer meint, dass man sich bei Informationen sowieso immer an das Neueste zu halten habe und das Ältere wertlos geworden sei, der wird die Namensänderei allerdings auch leichter spaßig finden können als jemand, der auf seinem Felde (z. B. der Morphologie, Ökologie u. a.) die Unersetzlichkeit gerade auch der älteren Literatur immer wieder erlebt. Aber ich denke, jeder, der sich nicht ganz durch die pure Autorität von hightech blenden lässt und die oft viel größere methodische Gründlichkeit älterer Untersuchungen kennt, kann auch die „Altmodischen“ etwas verstehen, die den „Spaß“ mit den Neuerungen nicht gleich so ernst nehmen mögen, dass sie ihm zuliebe die ganze Kommunikation über Organismenarten erschwert sehen wollen. Letzteres ist aber halt zurzeit stark im Gange.
Manfrid
Als Biologe freue ich mich natürlich ein Stück weit über das ausgesprochene Vertrauen in die Verantwortlichkeit, Selbstreflexion, Lern- und Kritikfähigkeit von Wissenschaftlern, die sich mit taxonomischen Fragen befassen. Trotzdem erlaube ich mir, gelegentlich etwas daran zu zweifeln, ob sich die Kollegen wirklich erstens der (gerade genannten) praktischen Auswirkungen ihres revolutionären Eifers, und zweitens der Fragwürdigkeit der theoretischen Grundlagen ihrer Neuerungen genügend bewusst sind.
Nehmen wir zur Erläuterung mal das erwähnte und recht schön markante Beispiel Cactaceae – Talinum (Stefan: Kakteen sind „nämlich offenbar ‚nur’ ein rapide evolutierter Seitenast der Gattung Talinum und somit Portulacaceae.“). Ich finde es wirklich immer sehr spannend, wenn feinere Untersuchungen einen auf nahe Beziehungen zwischen Pflanzen oder Tieren hinweisen, auf die man auf den ersten Blick nicht gekommen wäre.
(Ich sage bewusst allgemein „feinere Untersuchungen“, nicht „molekulargenetische“ o. ä., weil mit „genetisch“ schon immer eine Interpretation hineingemischt wird, die den neueren feinchemischen Untersuchungen von vornherein einen höheren Erkenntniswert unterstellt als anderen Untersuchungen. Zunächst geht es auch da erstmal einfach um „Merkmale“, die nicht wichtiger zu nehmen sind als irgendwelche anderen Merkmale auch. Um das noch solider zu begründen, müsste man allerdings ein wenig auf die neueren Diskussionen um die „Epigenetik“ eingehen, die zeigen, dass es mit den angeblich so entscheidenden „Genen“ eine rechte Crux ist. Und wenn feinere „molekulargenetische“ Untersuchungen irgendeinen näheren Zusammenhang oder Unterschied zwischen Lebewesen nahe legen, so muss das ja immer auch durch entsprechend feine „somatische“, z. B. morphologische, ökologische etc. Untersuchungen ebenfalls zu belegen bzw. zu bestätigen sein. Denn sonst gäbe es eben auch keinen Zusammenhang zwischen „Genen“ (Keimbahn) und „Soma“ und es wäre wiederum sinnlos, von genetischen Grundlagen der somatischen Phänomene zu reden.)
Also, gegen solche neuen Hinweise aus der Feinchemie habe ich gar nichts. Im Gegenteil: Wird man so auf die Talinum-Arten als Bindeglied zwischen der merkwürdig speziellen Wuchsform, Blütenform, Bedornung etc. der Kakteen und den „normalen“ (für uns gewohnteren) Formen hingewiesen, so ist das ungeheuer anregend und hilfreich, um sowohl die eine, wie auch die andere Seite und ihre gegenseitigen Metamorphosebeziehungen besser zu verstehen. Aber die Mitteilung solcher entdeckten Gemeinsamkeiten (zwischen Cactaceae und Talinum) genügt für diese Anregung vollkommen. Dazu müssen tatsächlich nicht alle Kakteen nun Talinum genannt werden. Es ist wirklich nicht nur der zu fürchtende Aufschrei der Kakteenfreunde-Lobby, der dagegen spricht und verhindern würde, dass die „objektiveren“ „Verwandtschafts“-Verhältnisse nun auch in der Nomenklatur ihren angemessenen Ausdruck fänden.
(Ich habe Stefans Hinweis schon verstanden, dass man „nicht zu viel Ernsthaftigkeit aufkommen lassen möchte. Das verdirbt einem nämlich den Spaß.“ So bin ich mir auch darüber im Klaren, dass es sicher nicht verbissen gemeint war, „dass wir es der Politik und dem Lobbyismus zu ‚verdanken’ haben, dass wir nicht hochsukkulente, bedornte Portulak sammeln“; bzw. eben Talinum. Trotzdem kann es nicht schaden, die ganze Sache mal etwas konsequent durchzudenken. Wenn das nicht passiert, wird einem mit der ganzen Umbenennerei eben der Spaß mit der Zeit doch zu arg.)
Nehmen wir mal an, die ganzen Kakteen würden von zwei (oder mehr) Talinum-Arten abstammen, die jeweils auch noch einen wenig oder nicht veränderten rezenten Nachkommen in der heutigen Gattung Talinum haben. Das würde bedeuten, dass die eine Gruppe von Kakteen als näher verwandt mit der zu ihr gehörigen rezenten Talinum-Art anzusehen wäre als mit den übrigen Kakteen, die eben von einer anderen Talinum-Art abstammen. Alle Übereinstimmungen zwischen den Kakteen beider Gruppen wären als Konvergenzen und somit als Übereinstimmungen anzusehen, die die „wahren“ Verhältnisse nur verschleiern. Da wird, meine ich, einigermaßen deutlich, dass uns mit recht guten Gründen die Übereinstimmungen aller Kakteen untereinander und ihre charakteristischen Unterschiede zu anderen Pflanzen (Talinum) bei der Zusammenstellung in „Verwandtschaften“ unter vielen Gesichtspunkten eigentlich viel mehr interessieren als die Abstammungsverhältnisse. Letztere sind ja auch immer nur aus den tatsächlichen Übereinstimmungen und Unterschieden erschlossen. Sie sind sozusagen nur ein handfester Stellvertreter für Artbeziehungen überhaupt; auch solche, die keine Abstammungsbeziehungen sind. Es hat also mindestens ebenso gute Gründe, die Gattung Talinum den Cactaceae als ganzen gegenüberzustellen und da nach gegenseitigen Beziehungen zu suchen, wie die eine Gruppe der Kakteen + zugehörigem Talinum dem Rest der Kakteen + zu ihm gehörigem anderen Talinum gegenüberzustellen. Denn es hat uns doch viel weniger zu interessieren, ob gewisse Kakteen von einem gewissen Talinum abstammen, als wie der Zusammenhang – z. B. morphologisch – zu denken ist. In Wirklichkeit reicht es eben gar nicht, zu wissen, dass irgendein Kaktus aus irgendeinem Talinum hervorgegangen ist. Wenn dabei völlig beliebige Abänderungen anzunehmen wären, dann verlöre die Abstammungsfrage alles Interesse. Dann steht eben jede Art eigentlich für sich, auch wenn sie angeblich noch so viele „Merkmale“ mit einer anderen teilt und sich erst vor kurzer Zeit abgespalten hat. (In Wirklichkeit gibt es nämlich „gemeinsame Merkmale“ ebenso nur dann, wenn man sie unter – gewöhnlich unbewussten – Gesichtspunkten so zusammenfasst, wie man auch Pflanzen unterschiedlicher Art in „Verwandtschaften“, z. B. Gattungen, zusammenfasst. Ohne solche abstrahierenden Gesichtspunkte gibt es auch auf der Merkmalsebene ja nirgends wirklich Gleiches. Auch die Gleichheit in Bezug auf irgend einen DNS-„Baustein“, ein Enzym oder dergleichen ist eine Abstraktion, denn man muss den Baustein ja erst, z. B. durch Chromatographie-Verfahren, aus dem speziellen Zusammenhang lösen, in dem er nun mal ist und durch den er sich von dem „gleichen“ Baustein bei einer anderen Pflanze unterscheidet.)
Wenn man die Sache so, also etwas erkenntnistheoretisch, philosophisch anpackt, erscheint das gewiss schnell manchem als gar zu spitzfindig. Aber die neueren Diskussionen machen dem, der sie etwas verfolgt, doch deutlich, dass man immer wieder an dem Punkt landet, wo einfach kein Weg drum herum führt. Neulich hörte ich einen taxonomisch gewiss ziemlich bewanderten Kollegen stoßseufzen, er hoffe bloß, dass sich irgendwann ein Weg fände, den Einfluss von „horizontalem Gentransfer“ auf die Merkmalsbildung bei Pflanzen irgendwie „herauszurechnen“. Denn sonst funktioniere ja die ganze schöne Kladistik überhaupt nicht mehr. Also: Früher hatte man das Problem, Konvergenzen von „wirklicher“ Übereinstimmung, Analogie von Homologie zu unterscheiden. Dann hat man geglaubt, dieses Problem mit Hilfe z. B. des Dollo’schen „Gesetzes“ oder durch Erklärung bestimmter Merkmale für wesentliche, „genetische“ aus der Welt schaffen zu können (ohne auch den Blick darauf zu riskieren, dass ja Konvergenzen im Bereich der Feinchemie, der „Molekulargenetik“, noch viel schwerer zu „enttarnen“ sind als im Bereich derjenigen Merkmale, mit denen man es wirklich im gerade interessierenden praktischen Zusammenhang zu tun hat). Heute steht man vor der Wahrscheinlichkeit, dass Übereinstimmungen, die man früher als bloße Konvergenzen ansah, nicht bloß durch wie auch immer zu denkende Spontanmutationen o. ä. entstanden und durch die gegebenen Umweltverhältnisse begünstigt, sondern eben aus Lebewesen mit ganz anderer Abstammung querübertragen worden sein könnten („horizontaler Gentransfer“ durch Viren o. ä.). Sie könnten dann zwar ebenfalls durch die übrigen Umweltverhältnisse begünstigt worden sein, wären also insofern umweltinduziert und konvergent, sind aber zugleich „genetisch“. Die Trennbarkeit von Konvergenz und Homologie ist also ein nur noch ärgeres Problem geworden durch neuere Untersuchungen…
Man kann also gefahrlos prophezeien, dass das erhoffte „Herausrechnen“ niemals sauber funktionieren wird. Es wird immer die Möglichkeit und Berechtigung geben, eine Pflanzenart unter bestimmten Gesichtspunkten als mit der einen Gruppe anderer Pflanzen näher „verwandt“ anzusehen, unter anderen Gesichtspunkten aber mit einer anderen Gruppe. Wenn das bei genauerer Betrachtung doch meist ziemlich autoritäre Umändern von Gattungen irgendwann einmal zur Ruhe kommt, so bestimmt nicht deshalb, weil endlich die wahren Verwandtschaftsverhältnisse gefunden sind, sonder einfach deshalb, weil man das Hickhack allmählich müde geworden ist, ohne wirklich unter allen Gesichtspunkten befriedigende Evidenzen gefunden zu haben. Solche Evidenzen zu finden ist aussichtslos, und sie sich am Ende um des lieben Friedens willen einzureden, würde die wahren Verhältnisse nur weiter verschleiern. Immer spielen die Gesichtspunkte, unter denen man gegenseitige Beziehungen untersucht, mit hinein. Deshalb wird es, wenn man noch größeren Schaden vermeiden will, höchste Zeit, zu erkennen, dass die in die Nomenklatur eingegangenen Zusammenfassungen (vor allem also die Gattungen) einfach historisch zu nehmen und im Interesse der Verständigung zu schützen sind. Sie stellen jeweils einen bestimmten Blick, einen bestimmten Gesichtspunkt bei der Suche nach inneren Beziehungen dar (oftmals denjenigen Linnés) und sind nicht falscher oder richtiger als andere Zusammenstellungen. Höchstens unzweckmäßiger für das Verfolgen neu in den Blick gerückter Beziehungen. Wenn also jemand interessante Übereinstimmungen zwischen zunächst wenig ähnlich erscheinenden Arten – z. B. eben Talinum und Kakteen – gefunden hat, so mag er das sagen und man wird ihm dankbar sein. Aber er würde den Dank wieder verspielen, wenn er nun deswegen alle in anderer Hinsicht notwendigen Unterscheidungen verwischen würde, indem er alles Talinum zu nennen befiehlt. Wenn jemand umgekehrt z. B. findet, dass sich manche Eigenheiten einer bisher Corryocactus squarrosus genannten Pflanze besser verstehen lassen, wenn man die bisher unter dieser einen Art zusammengefassten Formen jeweils mit anderen Arten der Gattung in nähere Beziehung bringt oder besser erstmal für sich betrachtet, so wird auch das interessant sein. Aber auch da ist ernsthaft zu überlegen, ob Umbenennungen wirklich nötig sind, oder ob es ein paar Zusatzinformationen auch tun. In den meisten Fällen wird das Letztere das Bessere sein.
Wir haben bisher gut damit leben können, dass Dutzende von Linné stammende Artbezeichnungen fragwürdig sind. Wir wissen, dass z. B. Scilla peruviana nicht aus Peru, sondern aus Spanien stammt und nur mit dem Schiff „Peru“ zu Linné gelangt ist, der sie deshalb eben „peruviana“ nannte. Das verwirrt uns nicht weiter. Wir finden es historisch interessant. So werden wir doch wohl auch damit leben können, neuere Erkenntnisse als Zusatzinformationen aufzunehmen, ohne dass noch weiter die Nomenklatur revolutioniert und die Verständigung damit empfindlich aufs Spiel gesetzt werden müsste.
Wer meint, dass man sich bei Informationen sowieso immer an das Neueste zu halten habe und das Ältere wertlos geworden sei, der wird die Namensänderei allerdings auch leichter spaßig finden können als jemand, der auf seinem Felde (z. B. der Morphologie, Ökologie u. a.) die Unersetzlichkeit gerade auch der älteren Literatur immer wieder erlebt. Aber ich denke, jeder, der sich nicht ganz durch die pure Autorität von hightech blenden lässt und die oft viel größere methodische Gründlichkeit älterer Untersuchungen kennt, kann auch die „Altmodischen“ etwas verstehen, die den „Spaß“ mit den Neuerungen nicht gleich so ernst nehmen mögen, dass sie ihm zuliebe die ganze Kommunikation über Organismenarten erschwert sehen wollen. Letzteres ist aber halt zurzeit stark im Gange.
Manfrid
Manfrid- Kakteenfreund
- Anzahl der Beiträge : 940
Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Hallo Manfrid
Hab großen Dank für diesen ausführlichen und tiefen Einblick und Dein fachkundiges Statement.
Ich habe Deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen, etliche neue Erkenntnisse gewonnen, bin aber nicht sicher, ob ich wirklich richtig verstanden habe.
Deswegen möchte ich versuchen, die Kernaussage Deines Beitrages herauszufiltern. Bitte korrigiere mich, wenn ich daneben liege oder ergänze, wenn ich Wichtiges unterschlagen habe.
Kann man also salopp sagen, dass Du sehr wohl neue Techniken begrüßt, um auf bisher unbekannte Zusammenhänge aufmerksam gemacht zu werden, ohne damit gleich alles umschmeißen oder neu ordnen zu müssen?
Eine Denkweise, die mir sehr gut gefällt: Offen für Neues, ohne das Bewährte geringzuschätzen.
Zurück zu unsrem Hobby: Darf ich fragen, welche Kakteen-Systematik Du nun bevorzugst? Die ausführliche von Backeberg, die zusammengeschrumpfte von Anderson oder den Kompromissansatz von Lodé?
Oder ist Dir das gleich, solange nur einfach mal Schluss ist, mit dem Hin- und Hergeschiebe?
Hab großen Dank für diesen ausführlichen und tiefen Einblick und Dein fachkundiges Statement.
Ich habe Deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen, etliche neue Erkenntnisse gewonnen, bin aber nicht sicher, ob ich wirklich richtig verstanden habe.
Deswegen möchte ich versuchen, die Kernaussage Deines Beitrages herauszufiltern. Bitte korrigiere mich, wenn ich daneben liege oder ergänze, wenn ich Wichtiges unterschlagen habe.
Manfrid schrieb:Ständige Gattungsnamens-Änderungen führen einfach zu dem ganz praktischen Problem, dass man bald nicht mehr weiß, unter welchem Namen man – auch ältere – Informationen über irgendeine Pflanze oder ein Tier zu suchen hat.
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Ich finde es wirklich immer sehr spannend, wenn feinere Untersuchungen einen auf nahe Beziehungen zwischen Pflanzen oder Tieren hinweisen, auf die man auf den ersten Blick nicht gekommen wäre. Ich sage bewusst allgemein „feinere Untersuchungen“, nicht „molekulargenetische“ o. ä., weil mit „genetisch“ schon immer eine Interpretation hineingemischt wird, die den neueren feinchemischen Untersuchungen von vornherein einen höheren Erkenntniswert unterstellt als anderen Untersuchungen. Zunächst geht es auch da erstmal einfach um „Merkmale“, die nicht wichtiger zu nehmen sind als irgendwelche anderen Merkmale auch.
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Es wird immer die Möglichkeit und Berechtigung geben, eine Pflanzenart unter bestimmten Gesichtspunkten als mit der einen Gruppe anderer Pflanzen näher „verwandt“ anzusehen, unter anderen Gesichtspunkten aber mit einer anderen Gruppe.
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Deshalb wird es, wenn man noch größeren Schaden vermeiden will, höchste Zeit, zu erkennen, dass die in die Nomenklatur eingegangenen Zusammenfassungen (vor allem also die Gattungen) einfach historisch zu nehmen und im Interesse der Verständigung zu schützen sind. Sie stellen jeweils einen bestimmten Blick, einen bestimmten Gesichtspunkt bei der Suche nach inneren Beziehungen dar (oftmals denjenigen Linnés) und sind nicht falscher oder richtiger als andere Zusammenstellungen.
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Aber ich denke, jeder, der sich nicht ganz durch die pure Autorität von hightech blenden lässt und die oft viel größere methodische Gründlichkeit älterer Untersuchungen kennt, kann auch die „Altmodischen“ etwas verstehen, die den „Spaß“ mit den Neuerungen nicht gleich so ernst nehmen mögen, dass sie ihm zuliebe die ganze Kommunikation über Organismenarten erschwert sehen wollen.
Kann man also salopp sagen, dass Du sehr wohl neue Techniken begrüßt, um auf bisher unbekannte Zusammenhänge aufmerksam gemacht zu werden, ohne damit gleich alles umschmeißen oder neu ordnen zu müssen?
Eine Denkweise, die mir sehr gut gefällt: Offen für Neues, ohne das Bewährte geringzuschätzen.
Zurück zu unsrem Hobby: Darf ich fragen, welche Kakteen-Systematik Du nun bevorzugst? Die ausführliche von Backeberg, die zusammengeschrumpfte von Anderson oder den Kompromissansatz von Lodé?
Oder ist Dir das gleich, solange nur einfach mal Schluss ist, mit dem Hin- und Hergeschiebe?
papamatzi- Kakteenfreund
- Anzahl der Beiträge : 1450
Lieblings-Gattungen : Echinofossulocactus
Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Interessant, erhellend und erschreckend zugleich.
Das würde dann heissen das ein Lebewesen je nachdem wer sein Vorfahre ist, dessen Name annehmen muss. Aus Cactaceae wird Talinum.
Ich vergleiche einmal der Mensch mit dem Kaktus. Die Nomenklatur der Kakteen ist ja extrem verästelt so dass es sogar regional unterschiedliche benennung zulässt. Beispiel Coryphantha durangensis. Obwohl der Name irreführend ist, denn es gibt sie ja auch in Coahuila.
Linné hat den Menschen als Homo sapiens erstbeschrieben. Alle Menschen sind Homo sapiens egal ob Europäer oder Asiate oder Afrikaner. Der Vorfahre ist ein Affenähnliches Wesen.
Es gibt aber keinen Homo afrikensis und kein Homo germanikus, kein Homo mediteraensis, kein Homo orientalis usw.
Das Aussehen der Menschen ist aber doch sehr unterschiedlich und die Gene sagen sogar aus zu wieviel Prozent man ein Afrikaner ist. Der Mensch wurde in Rassen aufgeteilt. Warum eigentlich. Bei Tieren spricht man von Rassen wenn diese gezüchtet wurden. Deutscher Schäferhund oder Appenzeller Sennenhund. Wer hat die Menschen gezüchtet?
Linné hatte das System erfunden um die Erkennung von Unterschieden zu Nutze zu machen. Die Mammillarien wurden unterteilt in Krainzia, Cochemiea, Mammilopsis usw. weil sich innerhalb der Gattung Mammillaria, doch einige stärker von einander unterscheideten.
Worin liegt der Nutzen wenn alles nur noch Mammillarien sind?
Worin liegt der Nutzen alte Namen zu streichen?
Das würde dann heissen das ein Lebewesen je nachdem wer sein Vorfahre ist, dessen Name annehmen muss. Aus Cactaceae wird Talinum.
Ich vergleiche einmal der Mensch mit dem Kaktus. Die Nomenklatur der Kakteen ist ja extrem verästelt so dass es sogar regional unterschiedliche benennung zulässt. Beispiel Coryphantha durangensis. Obwohl der Name irreführend ist, denn es gibt sie ja auch in Coahuila.
Linné hat den Menschen als Homo sapiens erstbeschrieben. Alle Menschen sind Homo sapiens egal ob Europäer oder Asiate oder Afrikaner. Der Vorfahre ist ein Affenähnliches Wesen.
Es gibt aber keinen Homo afrikensis und kein Homo germanikus, kein Homo mediteraensis, kein Homo orientalis usw.
Das Aussehen der Menschen ist aber doch sehr unterschiedlich und die Gene sagen sogar aus zu wieviel Prozent man ein Afrikaner ist. Der Mensch wurde in Rassen aufgeteilt. Warum eigentlich. Bei Tieren spricht man von Rassen wenn diese gezüchtet wurden. Deutscher Schäferhund oder Appenzeller Sennenhund. Wer hat die Menschen gezüchtet?
Linné hatte das System erfunden um die Erkennung von Unterschieden zu Nutze zu machen. Die Mammillarien wurden unterteilt in Krainzia, Cochemiea, Mammilopsis usw. weil sich innerhalb der Gattung Mammillaria, doch einige stärker von einander unterscheideten.
Worin liegt der Nutzen wenn alles nur noch Mammillarien sind?
Worin liegt der Nutzen alte Namen zu streichen?
Cristatahunter- Kakteenfreund
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Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Moin,
@Manfrid, das war mir jetzt doch etwas zu viel auf einmal....... Aber ich meine, eine Idee von dem zu haben, was Du schreibst.
So wie ich die beiden Begriffe verstehe, sind Taxonomie und Nomenklatur schon klar trennbar. Die Taxonomie beschäftigt sich mit der Ordnung der Lebewesen, die Nomenklatur mit deren Benennung. Wenn man so will, muss man erst versuchen die taxonomischen Zusammenhänge zufriedenstellend zu klären, bevor man sich über die nomenklatorische Benennung Gedanken macht. Somit hat die Taxonomie sicher Auswirkungen auf die Nomenklatur, aber es wäre, meiner Meinung nach, ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.
Ein schönes Beispiel ist der Komplex um Ferocactus, Echinofossulocactus/Stenocactus, Thelocactus, Glandulicactus und Leuchtenbergia. Der eine Taxonom und sicher fast alle Liebhaber, möchten sie alle, wegen morphologischer Unterschiede, getrennt halten, der andere sagt, basierend auf kladistischen Analysen, das sie alle zusammengehören. Das ist dann die taxonomische Sichtweise und kann persönlich unterschiedlich gehandhabt werden. Die meisten werden sich wahrscheinlich für die erstere Version entscheiden.
Im zweiten Fall wäre jedoch zu klären, welchen Namen sie nach den Regeln des ICN tragen müssen. Nach der Prioritätsregel müssten sie nämlich alle Echinofossulocactus heissen. Ich hab die Namen mal nach dem Alter sortiert: Echinofossulocactus 1841, Leuchtenbergia 1848, Ferocactus 1922, Thelocactus 1922, Stenocactus 1929, Glandulicactus 1938.
Deshalb hat N. P. Taylor vor einiger Zeit wahrscheinlich für Echinofossulocactus einen neuen Typus festlegen lassen und die Gattung damit zu einem Synonym von Echinocactus gemacht. Er hat dafür ein sogenanntes "Proposal" für das Nomenklaturkommitee geschrieben. Er wollte sicher, wegen der offensichtlichen Verwandtschaft der beiden Gattungen, verhindern, das alle Feros zu Echinofossulocacteen werden falls diese beiden Gattungen irgendwann mal zusammengefasst würden.
Ein größeres Problem wäre jetzt aber die Priorität von Leuchtenbergia gegenüber Ferocactus und den anderen Namen. Bei einer Zusammenlegung der Gattungen müsste man den gesamten Komplex nämlich in Leuchtenbergia umbenennen! Das ist ein großes Dilemma, denn beide Namen sind gut etabliert und weit verbreitet. Ein "Proposal" um Ferocactus gegen Leuchtenbergia zu schützen, eine der wenigen Möglichkeiten die Prioritätsregel "auszuschalten", dürfte im Kommitee deshalb sehr schwierig durchzubringen sein. Das funktioniert oft nur, wenn der ältere Name gegenüber dem etablierten jüngeren in der Literatur fast nie benutzt wurde. Ein schönes Beispiel hierfür: der bekannte Garten-Lavendel, Lavandula angustifolia Mill. 1768 müsste eigentlich Lavandula spica L. 1753 heissen. Da dieser Name aber seit Linné fast nie benutzt und die Identität der beiden Namen auch erst vor kurzem entdeckt wurde, konnte der Name Lavandula angustifolia gegenüber Lavandula spica erfolgreich geschützt werden.
Man stelle sich eine Leuchtenbergia acanthodes oder Leuchtenbergia macrodiscus vor . Könnte aber kommen........ Phylogenetisch ist Leuchtenbergia principis sozusagen das ferocactische Gegenstück zu Astrophytum caput-medusae. Da Digitostigma caput-medusae "glücklicherweise" sehr spät entdeckt wurde, konnte es, ein wenig zähneknirschend, zu einem Astrophytum werden. Taxonomisch kann man, wenn man will, Digitostigma und Astrophytum getrennt halten. Wenn man sie zusammenlegt, gibt es aber kein nomenklatorisches Dilemma, weil Astrophytum deutlich älter ist und Digitostigma diesen Namen nicht gefährdet hat.
Die nomenklatorischen Regeln sind jedenfalls bindend im Gegensatz zu den taxonomischen Ansichten, die persönlich sein können und dürfen.
Glücklicherweise kommen die taxonomisch arbeitenden Botaniker wieder dahin, auch die anderen Fachrichtungen der Botanik wie Morphologie, Chemie, Ökologie und Biogeographie einzubeziehen. Meist zwar "nur" um ihre Cladogramme zu bestätigen, aber auch, um die taxonomischen Einheiten auf eine breitere Basis zu stellen. Die Pflanzen sollen ja auch im Feld erkennbar sein. Der revolutionäre Eifer der Anfangszeit weicht, jedenfalls ist das mein, laienhafter, Eindruck der Artikel die ich in den Fachzeitschriften so lese, einem gewissen Pragmatismus.
Es läuft, denke ich, am Ende darauf hinaus, ob man, wie viele taxonomische Botaniker, rein monophyletische Abstammungslinien als eigene Taxa benennen möchte, oder ob man auch paraphyletische Einheiten zulässt. Die Diskussion gab es ja vor knapp 10 Jahren in der Zeitschrift "Taxon". Leider weiß ich nicht, was sich da schlussendlich ergeben hat. Die letzten taxonomischen Arbeiten, die ich gelesen habe, arbeiten wieder alle mit monophyletischen Kladen.
Ich denke, dass sich die ganze Diskussion um die Klassifikation auch nicht legt, wenn man sich wieder von den phylogenetischen Untersuchungen verabschieden würde. Es gibt dann immer noch genug Botaniker, die auch mit rein morphologischen Untersuchungen für taxonomisches "Chaos" sorgen können. Da fällt mir z.B. Herr Doweld ein, der, so viel ich weiß, dem Aufbau der Samen sehr viel Bedeutung zumisst. Aufgrund seiner Forschungen hat er immerhin 21 neue Gattungen bei den Cactaceae beschrieben! Das ist sein gutes Recht, allgemein anerkannt sind diese Gattungen jedoch nicht, weil er sich zu sehr auf ein Organ konzentriert und andere Dinge als taxonomisch unwichtiger erachtet hat.
Der Unterschied ist nur, dass die Phylogeny etwas tiefer in die gewohnten Strukturen eingreift und vieles, was man liebgewonnen hat, neu einordnet.
Meine Referenz ist eine Kombination aus "Catalogue of Life", "The Plantlist" und "Tropicos". Dabei gehe ich dann nach der allgemeinen Akzeptanz des jeweiligen Namen.
Worin liegt der Nutzen, die Lebewesen um uns herum zu benennen und einordnen zu wollen? Es dient der Verständigung. Das die Meinungen über die Zuordnung jedoch auseinandergehen, liegt einfach in der Natur des Menschen und wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern lassen. Man kann zwar versuchen einen Konsenz zu erzielen, wird aber niemals alle unter einen Hut bekommen. Zur Zeit ist der Konsenz unter den Botanikern halt der, das alle genannten "nur" noch Mammillaria sind. Das kann sich, wenn neue, stichhaltige, Erkenntnisse vorliegen, aber auch schnell wieder ändern.
Alte Namen werden nicht gestrichen. Wenn sie gültig beschrieben wurden, bleiben sie erhalten. Sie stehen den Botanikern weiterhin zur Verfügung wenn es gilt, einer taxonomischen Einheit, egal auf welcher Rangstufe, einen Namen zu geben. Bei Mammillaria sind sie, so viel ich weiß, zu Untergattungs-Namen geworden. Im Fall Cochemiea scheint es aber neue Erkenntnisse zu geben, dass sie doch aus Mammillaria ausgegliedert werden sollte. In diesem Fall wird dieser "alte" Name für die Gattung "reaktiviert" bzw. der Rangstufe angepasst.
Ein Wissenschaftler, der in seiner Zeit viele Namen gültig beschrieben hat und die jetzt im Zuge der phylogenetischen Arbeiten wieder ausgegraben wurden, war C. Rafinesque-Schmaltz. Er war ein autodidaktischer Botaniker, der zu Lebzeiten und auch danach viel kritisiert wurde. Die meisten Namen, die er veröffentlicht hat, sind aber gültig und stehen zur Verfügung, obwohl sie bisher nie beachtet wurden. Taxonomisch ist seine Arbeit kaum relevant, nomenklatorisch aber schon. Vor allem bei den Orchideen sind aufgrund der Aufteilung vieler Gattungen alte Namen dieses Botanikers wieder verwendet worden, weil sie nomenklatorisch die nächstverfügbaren waren.
@Manfrid, das war mir jetzt doch etwas zu viel auf einmal....... Aber ich meine, eine Idee von dem zu haben, was Du schreibst.
Manfrid schrieb:Schön wär’s ja, wenn die Begriffe „Taxonomie“ und „Nomenklatur“ so scharf zu trennen wären, wie Stefan ‚plantsman’ sagt.
So wie ich die beiden Begriffe verstehe, sind Taxonomie und Nomenklatur schon klar trennbar. Die Taxonomie beschäftigt sich mit der Ordnung der Lebewesen, die Nomenklatur mit deren Benennung. Wenn man so will, muss man erst versuchen die taxonomischen Zusammenhänge zufriedenstellend zu klären, bevor man sich über die nomenklatorische Benennung Gedanken macht. Somit hat die Taxonomie sicher Auswirkungen auf die Nomenklatur, aber es wäre, meiner Meinung nach, ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen.
Ein schönes Beispiel ist der Komplex um Ferocactus, Echinofossulocactus/Stenocactus, Thelocactus, Glandulicactus und Leuchtenbergia. Der eine Taxonom und sicher fast alle Liebhaber, möchten sie alle, wegen morphologischer Unterschiede, getrennt halten, der andere sagt, basierend auf kladistischen Analysen, das sie alle zusammengehören. Das ist dann die taxonomische Sichtweise und kann persönlich unterschiedlich gehandhabt werden. Die meisten werden sich wahrscheinlich für die erstere Version entscheiden.
Im zweiten Fall wäre jedoch zu klären, welchen Namen sie nach den Regeln des ICN tragen müssen. Nach der Prioritätsregel müssten sie nämlich alle Echinofossulocactus heissen. Ich hab die Namen mal nach dem Alter sortiert: Echinofossulocactus 1841, Leuchtenbergia 1848, Ferocactus 1922, Thelocactus 1922, Stenocactus 1929, Glandulicactus 1938.
Deshalb hat N. P. Taylor vor einiger Zeit wahrscheinlich für Echinofossulocactus einen neuen Typus festlegen lassen und die Gattung damit zu einem Synonym von Echinocactus gemacht. Er hat dafür ein sogenanntes "Proposal" für das Nomenklaturkommitee geschrieben. Er wollte sicher, wegen der offensichtlichen Verwandtschaft der beiden Gattungen, verhindern, das alle Feros zu Echinofossulocacteen werden falls diese beiden Gattungen irgendwann mal zusammengefasst würden.
Ein größeres Problem wäre jetzt aber die Priorität von Leuchtenbergia gegenüber Ferocactus und den anderen Namen. Bei einer Zusammenlegung der Gattungen müsste man den gesamten Komplex nämlich in Leuchtenbergia umbenennen! Das ist ein großes Dilemma, denn beide Namen sind gut etabliert und weit verbreitet. Ein "Proposal" um Ferocactus gegen Leuchtenbergia zu schützen, eine der wenigen Möglichkeiten die Prioritätsregel "auszuschalten", dürfte im Kommitee deshalb sehr schwierig durchzubringen sein. Das funktioniert oft nur, wenn der ältere Name gegenüber dem etablierten jüngeren in der Literatur fast nie benutzt wurde. Ein schönes Beispiel hierfür: der bekannte Garten-Lavendel, Lavandula angustifolia Mill. 1768 müsste eigentlich Lavandula spica L. 1753 heissen. Da dieser Name aber seit Linné fast nie benutzt und die Identität der beiden Namen auch erst vor kurzem entdeckt wurde, konnte der Name Lavandula angustifolia gegenüber Lavandula spica erfolgreich geschützt werden.
Man stelle sich eine Leuchtenbergia acanthodes oder Leuchtenbergia macrodiscus vor . Könnte aber kommen........ Phylogenetisch ist Leuchtenbergia principis sozusagen das ferocactische Gegenstück zu Astrophytum caput-medusae. Da Digitostigma caput-medusae "glücklicherweise" sehr spät entdeckt wurde, konnte es, ein wenig zähneknirschend, zu einem Astrophytum werden. Taxonomisch kann man, wenn man will, Digitostigma und Astrophytum getrennt halten. Wenn man sie zusammenlegt, gibt es aber kein nomenklatorisches Dilemma, weil Astrophytum deutlich älter ist und Digitostigma diesen Namen nicht gefährdet hat.
Die nomenklatorischen Regeln sind jedenfalls bindend im Gegensatz zu den taxonomischen Ansichten, die persönlich sein können und dürfen.
Das kann man auch nicht erwarten. Dazu sind wir Menschen zu verschieden und es wird immer welche geben, die sich doch zu sehr Ereifern. Aber insgesamt finde ich, dass taxonomisch arbeitende Botaniker ein recht umgänglicher Haufen sind .Manfrid schrieb:Trotzdem erlaube ich mir, gelegentlich etwas daran zu zweifeln, ob sich die Kollegen wirklich erstens der (gerade genannten) praktischen Auswirkungen ihres revolutionären Eifers, und zweitens der Fragwürdigkeit der theoretischen Grundlagen ihrer Neuerungen genügend bewusst sind.
Glücklicherweise kommen die taxonomisch arbeitenden Botaniker wieder dahin, auch die anderen Fachrichtungen der Botanik wie Morphologie, Chemie, Ökologie und Biogeographie einzubeziehen. Meist zwar "nur" um ihre Cladogramme zu bestätigen, aber auch, um die taxonomischen Einheiten auf eine breitere Basis zu stellen. Die Pflanzen sollen ja auch im Feld erkennbar sein. Der revolutionäre Eifer der Anfangszeit weicht, jedenfalls ist das mein, laienhafter, Eindruck der Artikel die ich in den Fachzeitschriften so lese, einem gewissen Pragmatismus.
Es läuft, denke ich, am Ende darauf hinaus, ob man, wie viele taxonomische Botaniker, rein monophyletische Abstammungslinien als eigene Taxa benennen möchte, oder ob man auch paraphyletische Einheiten zulässt. Die Diskussion gab es ja vor knapp 10 Jahren in der Zeitschrift "Taxon". Leider weiß ich nicht, was sich da schlussendlich ergeben hat. Die letzten taxonomischen Arbeiten, die ich gelesen habe, arbeiten wieder alle mit monophyletischen Kladen.
Ich denke, dass sich die ganze Diskussion um die Klassifikation auch nicht legt, wenn man sich wieder von den phylogenetischen Untersuchungen verabschieden würde. Es gibt dann immer noch genug Botaniker, die auch mit rein morphologischen Untersuchungen für taxonomisches "Chaos" sorgen können. Da fällt mir z.B. Herr Doweld ein, der, so viel ich weiß, dem Aufbau der Samen sehr viel Bedeutung zumisst. Aufgrund seiner Forschungen hat er immerhin 21 neue Gattungen bei den Cactaceae beschrieben! Das ist sein gutes Recht, allgemein anerkannt sind diese Gattungen jedoch nicht, weil er sich zu sehr auf ein Organ konzentriert und andere Dinge als taxonomisch unwichtiger erachtet hat.
Der Unterschied ist nur, dass die Phylogeny etwas tiefer in die gewohnten Strukturen eingreift und vieles, was man liebgewonnen hat, neu einordnet.
Backeberg ist definitiv überholt und er hat nomenklatorisch so viele Fehler gemacht, das einige seiner Namen sogar ungültig sind. Deshalb fällt Backeberg für mich raus. Anderson ist ein Lumper, sein Lexikon ist jedoch das Referenzwerk, nach dem sich zur Zeit noch viele Liebhaber richten. Aber auch er ist eigentlich schon wieder überholt (siehe Rebutia). Das Buch von Lodé kenne ich nicht, habe aber seine Synonymliste. Kann man auf jeden Fall mit arbeiten, wobei ich sein Vorgehen nicht gutheisse. Er hat, so wie ich es gesehen habe, einige Umkombinationen und Beschreibungen aufgrund von Artikeln getätigt, ohne an der wissenschaftlichen Arbeit beteiligt gewesen zu sein. Das ist zwar erlaubt, aber unfair.papamatzi schrieb:Zurück zu unsrem Hobby: Darf ich fragen, welche Kakteen-Systematik Du nun bevorzugst? Die ausführliche von Backeberg, die zusammengeschrumpfte von Anderson oder den Kompromissansatz von Lodé?
Meine Referenz ist eine Kombination aus "Catalogue of Life", "The Plantlist" und "Tropicos". Dabei gehe ich dann nach der allgemeinen Akzeptanz des jeweiligen Namen.
Nicht ganz. Carl von Linné hat die binäre Nomenklatur erfunden, damit man endlich von den Phrasen loskommt, die zu seiner Zeit noch in Literatur benutzt wurden. Jeder Botaniker hatte für die gleiche Pflanze oft eine andere beschreibende Phrase. Er hat das ganze auf eine gut durchdachte und strukturierte Basis gestellt und vereinheitlicht. Damit konnte dann jeder Botaniker arbeiten.Cristatahunter schrieb:Linné hatte das System erfunden um die Erkennung von Unterschieden zu Nutze zu machen.
Die erste ist wieder eine taxonomische Frage. Der eine Botaniker will die Gattung unterteilen, der andere fasst sie stärker zusammen, weil der die Unterschiede für nicht wichtig erachtet. Die Namen sind aber, weil sie gültig beschrieben wurden, für die Benennung weiterhin verfügbar. Auch hier wird man wahrscheinlich nie eine Einigkeit finden. Wenn Du meinst, die Gattungen sollten erhalten bleiben, darfst Du sie so nennen. Wie die allgemeine Akzeptanz aussieht, steht auf einem ganz anderen Blatt.Cristatahunter schrieb:Die Mammillarien wurden unterteilt in Krainzia, Cochemiea, Mammilopsis usw. weil sich innerhalb der Gattung Mammillaria, doch einige stärker von einander unterscheideten.
Worin liegt der Nutzen wenn alles nur noch Mammillarien sind?
Worin liegt der Nutzen alte Namen zu streichen?
Worin liegt der Nutzen, die Lebewesen um uns herum zu benennen und einordnen zu wollen? Es dient der Verständigung. Das die Meinungen über die Zuordnung jedoch auseinandergehen, liegt einfach in der Natur des Menschen und wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern lassen. Man kann zwar versuchen einen Konsenz zu erzielen, wird aber niemals alle unter einen Hut bekommen. Zur Zeit ist der Konsenz unter den Botanikern halt der, das alle genannten "nur" noch Mammillaria sind. Das kann sich, wenn neue, stichhaltige, Erkenntnisse vorliegen, aber auch schnell wieder ändern.
Alte Namen werden nicht gestrichen. Wenn sie gültig beschrieben wurden, bleiben sie erhalten. Sie stehen den Botanikern weiterhin zur Verfügung wenn es gilt, einer taxonomischen Einheit, egal auf welcher Rangstufe, einen Namen zu geben. Bei Mammillaria sind sie, so viel ich weiß, zu Untergattungs-Namen geworden. Im Fall Cochemiea scheint es aber neue Erkenntnisse zu geben, dass sie doch aus Mammillaria ausgegliedert werden sollte. In diesem Fall wird dieser "alte" Name für die Gattung "reaktiviert" bzw. der Rangstufe angepasst.
Ein Wissenschaftler, der in seiner Zeit viele Namen gültig beschrieben hat und die jetzt im Zuge der phylogenetischen Arbeiten wieder ausgegraben wurden, war C. Rafinesque-Schmaltz. Er war ein autodidaktischer Botaniker, der zu Lebzeiten und auch danach viel kritisiert wurde. Die meisten Namen, die er veröffentlicht hat, sind aber gültig und stehen zur Verfügung, obwohl sie bisher nie beachtet wurden. Taxonomisch ist seine Arbeit kaum relevant, nomenklatorisch aber schon. Vor allem bei den Orchideen sind aufgrund der Aufteilung vieler Gattungen alte Namen dieses Botanikers wieder verwendet worden, weil sie nomenklatorisch die nächstverfügbaren waren.
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Re: Eigenheiten bei der Nomenklatur
Wenn es der Verständigung dienen sollte dann sollte es nicht unverständlicher gemacht werden.
OK, wenn Cochemiea doch etwas eigenes ist, so müsste auch Mammilopsis dazugestellt werden.
OK, wenn Cochemiea doch etwas eigenes ist, so müsste auch Mammilopsis dazugestellt werden.
Cristatahunter- Kakteenfreund
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